Eine sehr beliebte Pendlerstrecke für Radler ist er schon heute – der Radweg entlang der S-Bahn-Linie 25 zwischen dem Park am Gleisdreieck und dem Bahnhof Südkreuz. Doch auch überregional ist diese Strecke von Bedeutung, ist sie doch Teil des Fernradwegs Berlin-Leipzig.
Südlich des Bahnhofs überquert der Radweg den Sachsendamm und die A100. Das Südkreuz selbst ist für den Radverkehr ein Graus: Das in Stahlbeton gegossene Bollwerk müssen Radler weiträumig umkurven – so ist jedenfalls die offizielle Streckenführung. Nicht ohne Grund sieht man immer wieder Menschen ihr Rad durch die Bahnhofshalle schieben oder gar fahren.
Der Fahrradaktivist und ADFC-Berlin-Vorstandsmitglied (2016 - 2019) Evan Vosberg unterstützt vom Berliner Radpionier und Mobilitätsforscher Tim Lehmann (Fahrrad-Highway Potsdamer Stammbahn) haben eine innovative Lösung entwickelt, die eine perfekte Symbiose aus Bahn und Fahrrad darstellt.
Über dem Gleis 1, auf dem die S25 Richtung Süden fährt, gibt es keine Oberleitung. Darüber ist bei filigraner Bauweise gerade genug Platz, um den Radweg komfortabel und spektakulär mitten durch das Bauwerk zu führen.
Tim Lehmann, der beim Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ) den Zukunftsbahnhof mit geplant hat: "Hier brauchen wir einen hervorragenden Statiker, der eine filigrane Konstruktion über den fahrenden S-Bahn-Zügen entwirft. Es wäre auf jeden Fall eine gestalterische Herausforderung für die Bahn."
"Wir haben es ausgemessen und mit dem erforderlichen Lichtraumprofil der S-Bahn Berlin abgeglichen. Es wird ein unglaublich schönes Gefühl sein, mit dem Fahrrad über den Gleisen und Zügen förmlich hinwegzuschweben, das Treiben von oben zu betrachten, und mit ganz sanft ansteigenden Rampen den Weg ganz einfach zu meistern" sagt Evan Vosberg.
Mit der Installation des Radweges über der S-Bahn ergeben sich ganze neue Chancen für den einstigen Autobahnhof – das ist der Türöffner zum Radbahnhof Südkreuz Berlin. Auf dem Hoch-Radweg wären Radfahrer den damals als Parkhaus geplanten Ebenen nah. Eine Erschließung für den Radverkehr scheint denkbar: Hier könnte das erste Fahrradparkhaus in Berlin seinen Platz finden. Zudem würden Radfahrende über diese Ebene auch direkten Zugang zu den Bahnsteigen erhalten.
Der Berliner Senat hat seinen Zwischenstand zu Radschnellverbindungen im Berliner Stadtgebiet veröffentlicht. Aus den insgesamt 30 Trassenkorridoren wurden nach verschiedenen Bewertungskriterien die Top 12 Vorschläge ausgewählt. In die Top 12 hat es unter anderem der Trassenkorridor Nr. 11 von Teltow zum Park am Gleisdreick geschafft. Eben dieser Korridor führt direkt durch den Bahnhof Berlin Südkreuz. Umso wichtiger und notwendiger denn je ist eine gute Lösung für den Radverkehr am Verkehrsknoten Südkreuz Berlin.
Der Bahnhof Berlin Südkreuz wurde 2006 kurz vor der Fußball-WM in Betrieb genommen. Zu Beginn der Planungen Mitte der 90er Jahre sollte der Bahnhof noch ein Auto-Bahnhof werden und wegen seiner Lage an der Stadtautobahn A100 ein riesiges Parkhaus über den Gleisen mit über 2.000 PKW-Stellplätzen für Fernverkehrsreisende erhalten
Nur 300 dieser Stellplätze wurden letztlich realisiert und auch diese sind nie ganz ausgelastet. Denn die Mobilität hat sich stark verändert. Viele Menschen wollen einfach mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren und Fernverkehrsreisende nutzen ganz selbstverständlich den Nahverkehr, bevor sie in den ICE steigen.
Im Jahr 2014, acht Jahre nach der Eröffnung, hat die Deutsche Bahn den Bahnhof Südkreuz aufgrund der Nähe zum EUREF-Campus zum „Reallabor“ für Innovationen an Bahnhöfen gemacht. Er wurde zum Zukunftsbahnhof. Gemeinsam mit dem InnoZ und vielen weiteren Partnern wurde ein intelligentes Stromnetz installiert, eine Ladestation für E-Autos sowie Solaranlagen und Windräder. Außerdem erprobte man im laufenden Bahnhofsbetrieb Indoor-Navigation, einen elektronischen Wagenstandsanzeiger, den neuen „Service Point“, eine Station für Mitfahrgelegenheiten und vieles mehr.
Das ursprünglich als Auto-Bahnhof geplante Südkreuz steht heute schon exemplarisch für eine Verkehrswende. Der Bahnhof Südkreuz bietet sich daher an, als symbolträchtiges verkehrspolitisches Projekt im Sinne einer nachhaltigen Verkehrsentwicklungsstrategie weiterentwickelt zu werden. Im Gegensatz zu Leuchtturmprojekten etwa im Bereich des Elektroverkehrs, die seit Jahren substanzlos vor sich hin strahlen, verbindet der Bahnhof Südkreuz große Sichtbarkeit mit einem hohen Potential für eine integrierte Verkehrsentwicklungsstrategie. Der Radschnellweg würde sich in die aktuellen Pläne für die neuen Radschnellwege fügen und sie durch seine Verbindungsfunktion deutlich aufwerten. Darüber hinaus wäre die Einbindung des Radschnellwegs in die Bahnhofsinfrastruktur ein ebenso sichtbarer wie wirkungsvoller Meilenstein in Richtung einer verkehrsträgerübergreifender Integration – so nah sind sich Rad- und Schienenverkehr noch nicht gekommen. Eine spektakuläre verkehrstechnische Herausforderung, die das Herz des Ingenieurs höher schlagen lässt und die sich auch noch sinnvoll in ein integriertes verkehrspolitisches Gesamtkonzept fügt – wo gab´s das schon einmal. Vielleicht bald in Berlin?
Die städtebauliche Einbindung des Bahnhofs Südkreuz ist leider ungenügend: die Chance, den Bahnhof zu einem verbindenden Element zwischen Schöneberg und Tempelhof zu machen ist beim Bau des Bahnhofs 2006 vertan worden. Das Konzept einer Durchbindung des Fernradweges Berlin-Leipzig durch den Bahnhof hindurch könnte nun dieses Versäumnis zumindest lindern. Denn auch in Nord-Süd-Richtung ist der Bahnhof nicht durchlässig und der Fernradweg Berlin-Leipzig, der inzwischen für Pendler und Alltagsradler von großer Bedeutung ist, wird umständlich und ungeregelt um den Bahnhof herumgeführt. Die vorgeschlagene Brückenkonstruktion längs über den Gleisen der S-Bahn könnte diesen Gordischen Knoten lösen. Unabhängig von den ohnehin notwendigen punktuellen Verbesserungen für die Führung des Radverkehrs im Bereich des Hildegard-Knef-Platzes, sollte das innovative Konzept einer attraktiven direkten Führung des Radverkehrs auf dieser wichtigen Pendlerroute geprüft und weiter verfolgt werden. Ein willkommener Nebeneffekt wäre die Erschließung des ungenutzten nördlichen Parkdecks für ein Fahrradparkhaus mit direktem Gleiszugang. So würde der 'Zukunftsbahnhof' Südkreuz wirklich zu einer Mobilitätsdrehscheibe werden.
Das Südkreuz steht für das Umsetzen von Infrastrukturinnovationen, das Areal ist ein 'Reallabor im urbanen Entwicklungsraum'. Hier verdichten sich die Visionen und Ergebnisse aus Forschungs- und Kreativprozessen zu erfahrbaren Kundenerlebnissen. Ob eCarsharing-Flotte, Pedelec-Station oder induktiver Elektrobus, alles vernetzt und auf Basis lokal gewonnener erneuerbarer Energie - dafür steht das Südkreuz schon jetzt. In Zukunft sollen hier alle relevanten Stadtakteure eine Heimat haben und ihre Innovationen im 1:1-Maßstab testen können. Dabei gilt: keine Angst - auch vor verrückten Ideen! Und das wäre der Radschnellweg quer durch die Verkehrsstation allemal. Gebt ihm eine Chance!
Initiator und Ideengeber des Radbahnhof Südkreuz Berlin
Co-Initiator des Volksentscheid Fahrrad Berlin
Vorstand im ADFC Berlin für Verkehrsplanung und -sicherheit (2016 - 2019)
Ingenieur, Designer und versessener Perfektionist immer gewillt das unmöglich zu ermöglichen. Was er mit Projekten wie Evans 10k Rohloff Randonneur unter Beweis stellt.
Illustration, Webseite
Gründer des ium-Institut für Urbane Mobilität und visionärer Vorreiter für die Umsetzung neuer Lösungen für einen attraktiven öffentlichen Raum.
Tim war zuvor beim InnoZ als Experte für multimodale Mobilitätsdrehscheiben mit verantwortlich für den Aufbau des Zukunftsbahnhofs Berlin-Südkreuz.
Der Zukunftsbahnhof ist ein sogenanntes "Living Lab", an dem im realen Bahnhofsbetrieb Innovationen erprobt werden.
Texte
Das Potenzial ist riesig und viele innovative Ideen sind wahrscheinlich noch nicht einmal gedacht. Mit dem Radbahnhof Südkreuz kann Berlin seine Kreativität und Innovationskraft unter Beweis stellen.
Illustrationen und Logo von Evan Vosberg, Fotos von Matthias Heskamp